04.10.2023 | Tim Wagner: Ein Plädoyer für das Tapering
Stell dir vor, du bist mit dem Auto auf der Autobahn und fährst Richtung Marathon. Du bist hunderte Kilometer weit gefahren, hast jede Kurve genommen, jeden Berg erklommen und jetzt nähert sich die Ausfahrt ‘Tapering’. Keine Sorge, diese Ausfahrt führt dich nicht auf den Rastplatz der Faulheit. Stattdessen ist das Tapering die Straße, auf der du den Turbo einschaltest, um mit Höchstgeschwindigkeit zum Marathonziel zu rasen.
Diese Umschreibung sollte ich in den kommenden Zeilen etwas genauer erklären, denn wahrscheinlich hat sie noch nicht jeder auf den ersten Blick verstanden. Lass uns also herausfinden, warum diese „Ausfahrt“ so wichtig ist und wie du sie am besten nimmst, ohne im Verkehrsstau stecken zu bleiben! Genug Metaphern, los geht’s 😂
Starten wir mit einer kurzen und recht nüchternen Definition des Wortes Tapering:
Tapering ist ein entscheidender Teil der Marathonvorbereitung und bezieht sich auf die Reduzierung der Trainingsbelastung in den letzten Wochen vor dem Rennen. Tapering ist deshalb entscheidend, weil man am Renntag in Topform sein möchte. Es erlaubt deinem Körper, sich zu erholen und sich auf die Herausforderungen des Marathons vorzubereiten.
Hier sind einige Gedanken zum Thema Tapering, also Tipps und Ratschläge, die in der ruhigen Phase vorm Wettbewerb hilfreich sein könnten:
- Ziel des Tapering: Das Hauptziel des Tapering ist es, die körperliche und mentale Erholung zu fördern, damit du am Renntag in Bestform bist. Durch die Reduzierung des Trainings können sich Muskeln erholen und Energiereserven aufgefüllt werden.
- Dauer des Tapering: Tapering dauert normalerweise etwa 2 Wochen, also ca 14 Tage vor dem Marathon. Dies kann je nach individuellem Trainingszustand variieren. Besonders trainierte Sportler tapern nur ein paar Tage, weil die Erholungsphasen viel kürzer sind. Beim Halbmarathon oder 10km Wettkampf ist die Dauer des Taperings auch ein wenig niedriger.
- Trainingsumfang reduzieren: Während des Tapering solltest du die Gesamtdistanz und Intensität deiner Läufe allmählich reduzieren. Dies kann dazu beitragen, Muskelschäden zu minimieren und Ermüdung abzubauen. Um wie viel Prozent du dein Training herunterfahren kannst, ist schwer zu sagen. Der eine sagt 40% Reduktion des Wochenumfangs, der andere sogar bis zu 60% Reduzieren der Wochenkilometer. Ich schaue, dass ich in meiner Tapering-Phase die Distanzen meiner lockeren Dauerläufe etwas minimiere und gönne mir 2 Ruhetage, an denen ich maximal eine Stunde auf die Rolle gehe oder wirklich komplett pausiere. Mehr zum Training in der Tapering Phase gibt es ein paar Tipps weiter unten.
- Ernährung und Hydratation: Achte auf eine ausgewogene Ernährung und ausreichende Hydratation während des Tapering, um deine Energiespeicher aufzufüllen und Verletzungen zu vermeiden. Carbo-Loading, also gutes kohlehydratehaltiges Essen ist damit gemeint 😉
- Psychologische Vorbereitung: Nutze die Zeit des Tapering, um dich mental auf dein Event vorzubereiten. Visualisiere dein Rennen, stelle dir positive Szenarien vor und setze dich mit deiner Renntaktik auseinander. Und was ganz wichtig ist: Freue dich auf das Event. Du hast nicht umsonst Wochen und Monatelang auf den Tag hingearbeitet. Belohne dich für dein hartes Training und mache dir bewusst, dass du es schaffen wirst.
- Schlaf und Erholung: Lege besonders großen Wert auf ausreichenden Schlaf und Erholung, um zu regenerieren. Das ist entscheidend, um den Körper in Höchstform zu bringen und am Renntag frisch und ausgeruht zu sein.
- Race-Pace antesten: In den letzten Tagen vor dem Wettkampf solltest du einen kurzen Race-Pace-Test durchführen, um sicherzustellen, dass du ein Gefühl für das angestrebte Renntempo bekommst. Bei einem Halbmarathon wären 4-5km im Renntempo vier Tage vor dem Wettkampf angebracht, um dir selbst klarzumachen, dass du die Pace laufen kannst. Drei Kilometer Einlaufen, 4km @RacePace, 4-5km Auslaufen.
- Vermeide Übertraining: Ein häufiger Fehler ist es, während des Tapering zu viel zu trainieren. Halte dich an dein geplantes Tapering-Programm und vermeide zusätzliche Belastungen. Es ist völlig okay und sogar notwendig, mal zwei oder drei Tage die Woche nichts zu tun. Und für all diejenigen, die in der Zeit immer noch was machen möchten: Wie wäre es mit einem moderaten Dehn-Programm? Achte aber darauf, dass du dich mit dem Dehnen nicht unnötig stark „belastest“. Wenn du dich sonst auch nie dehnst (was du unbedingt 2-3 mal die Woche tun solltest), dann führe es nicht kurz vorm Wettkampf in deine Trainingsroutine ein. Das könnte nach hinten losgehen.
- Vertrauen in deine Vorbereitung: Denke daran, dass das Tapering Teil deiner gesamten Vorbereitung ist. Hab Vertrauen in dein Training und deinen Körper. Das ist wahrscheinlich der Wichtigste, simpelste und schwierigste Tipp zusammen. Ein gesundes Vertrauen in seine Vorbereitung und der Glaube, sein Ziel zu erreichen, machen in meinen Augen mindestens 80% der Leistung am Wettkampftag aus. Was bringt es dir, wenn du mit Selbstzweifel an der Startlinie stehst und dir vor dem Start schon Gedanken machst, ob das so eine gute Idee war. Mach dir bewusst, was du geleistet hast. Vertraue in deine Fähigkeiten, fokussiere dich auf dein Ziel und stelle dich darauf ein, dass es am Wettkampftag auch mal ein bisschen weh tun darf, wenn man sich seiner Leistungsgrenze nähert. Verliere den Spaß dabei aber niemals aus den Augen und freue dich aufs Rennen. Checke nochmal das Wetter, deine Verpflegung, die Schuhe und dann kann nichts mehr schief gehen.
- Keine Experimente machen: Da der Wettkampftag an sich ja schon ein „Selbstexperiment ist, bei welchem man versucht, seine Leistungsfähigkeit maximal auszureizen, sollten so viele Dinge wie möglich im Vorfeld (möglichst genau) vorbereitet werden.
Damit meine ich konkret: Am Wettkampftag das Frühstück niemals ändern, niemals nagelneue Schuhe beim Wettkampf laufen, neue Gels/Verpflegung bereits im Training testen und schauen, wie magenverträglich diese sind, keine Experimente bei der Kleidung machen oder die besprochene Renntaktik nicht komplett überwerfen. Mache dir also bewusst, was dich am Wettkampftag erwarten wird, stell dir vielleicht deinen Zieleinlauf vor, „kloppe” deine (gewünschte) Zielzeit in deinen Kopf und verliere niemals, wirklich niemals den Glauben an dein Vorhaben.
Wenn du nicht daran glaubst, wer tut es dann? 😉